VERTIEFUNGEN
Das Mikrofon ist meins. Aaaaah! Ich treib den Rhythmus, die Gruppe. Und Stones! I can’t get no. Wie Mick. Ins Fleisch. Satisfaction. Der Junge sitzt auf dem Stuhl, als wär kein Saal zwischen uns. And I try. Der abschätzige Blick. Der Junge steht vor der Garderobe. Ihn einholen. Draußen.
Die Leute! Der Junge läuft auf der andern Seite. Ihn einholen. Sein schmaler Rücken, die Schultern. Ihn einholen! Schnellerlaufen. Die Schultern. Der Rücken, der mich auf Abstand hält.
Der Junge, der jetzt zurückkommt? Die Augen für den Moment neben mir. Erinnrung, verwachsne, wo Kindheit gewesen sein muß. Ich war sechzehn. Damals.
Eine Hauptfigur, der Journalist Grodek, über sich selbst:
„Dafür stand im Zeugnis Gesamtverhalten. Ich hatte immer eins. Mein verhaltnes Ich. Halt ich mich zurück, hältst du mir nichts vor. Guten Morgen! Die Nachrichten … Dabei mach ich mit, meine öffentliche Arbeit. Mich verhalten. Irrsinnigerweise ist es wiederum das, was mich auch stabil macht. Keine Erlebnisse, aber Ergebnisse. Der Sozialismus siegt. Eine Innenwelt: das Gefühl für mich selbst, das immer genauer wird.“
Kindheit war, wo ich gehorchte. Im Äußern bleiben. Ohne zu wissen, wie Jungen sich aufeinander einlassen. Ich wusste nicht, dass ich mich sehnte nach Jungen.
Erdmann hat sich nach München abgesetzt, bedient in einer Kneipe, wo er zwischen Jungen und Stammgästen zu vermitteln lernt.
Jacqueline, hinter einer Hotelrezeption, sehnt sich nur nach Ruhe.
Herr Kirschbaum bleibt der, der sich in beiden Etablissements sehen lässt.
Zwei Jungmünchner tauchen auf – wie schafft es Benny, alle durcheinander zu bringen?
Noch drei Tage bis zur Hochzeit. Noch zwei. Doch will Herr Kirschbaum sie noch heiraten? Jacqueline macht sich dorthin auf, wo sie die Lösung vermutet: in einer Schwulenkneipe.
„Wollen Sie München unsicher machen?“
1989 schieben sich die Zeiten ineinander – vorübergehend.
Vom Winter, in dem noch keiner an das Ende des Sozialismus dachte, bis zum beginnenden Zusammenbruch im Oktober-November: WIE NIE ZUVOR beschränkt sich nicht auf den Demonstrationsherbst in Leipzig. Erzählt wird vom ganzen Jahr 1989, vom ›ganz normalen‹ Leben:
Es reicht vom Volkseigenen Betrieb bis zum Alltag der ›Parteiarbeit‹, bis hin zur Liebe unter Männern. Wie schlagen ›unsere Menschen‹ sich durch, nicht zuletzt Jugendliche und ›Asoziale‹? Abgeschottetes Denken bricht auf, abgezirkelte Lebenskreise nähern sich an – die Zeit ist auf der Straße. Ein Jahrhundert marschiert.
Ich bin viele, gelegentlich alle, so der Autor.
Seit vier Jahren fahre ich, in Gedanken, in die Holsteinstraße: um mich doch auf ihn einzulassen. Gründe kamen, Gründe gingen. Frühlinge kamen, gingen. Eine Erfahrung kam und verging nicht, weil ich nicht wollte, dass es meine eigene war: Vergangenheit aus dem letzten Loch. Asche zu Asche. Ich träume immer noch von der Armee. Ich weiß, jetzt,
dass es einen Unterschied gibt zwischen Erinnerung und Erfahrung.
Erinnerung stellt sich ein, Erfahrung verdichtet sich. Wen vergesse ich, wen nie? Die wenigen, die an mir festhielten, waren nicht die, nach denen ich mich sehnte. Ein Klang, der sich warm um dich legt wie ein Körper. Der dich von hinten festhält, dir die Augen zuhält und du weißt: Der. Den hast du gut.
ZEITGESCHICHTE
Bis ins 21. Jahrhundert wurde im deutschsprachigen Raum über einen einzigen führenden Nationalsozialisten keine Biografie veröffentlicht – über Ernst Röhm. Warum?
Wie wird aus dem Sohn eines Münchner Eisenbahn-Oberinspektors der Stabschef von Hitlers ‛Privatarmee’?
Wie vereinbart er nationalsozialistische Weltanschauung und Homosexualität?
Weshalb ließ Adolf Hitler – nach anderthalb Jahren an der Macht – im Frühsommer 1934 den SA-Stabschef ermorden?
Wieso Röhm – und ich?, fragt der Biograf.
Wer war Ernst Röhm?
Jüngere Leser könnten fragen: Was war überhaupt ein VEB? Schon für die erste Generation nach 1989 bleiben Alltag das Staatsgepräge der DDR ferne Zeit. Wie lebten Menschen in einem ›Volkseigenen Betrieb‹? Wie erleben sie den Systemwechsel? Ab 1990 gehört der VEB WÄLZLAGERWERK (Leipzig) zum FAG-Konzern (Schweinfurt). Diese Übernahme endet 1993 im Konkurs.
Um ihr Werk zu retten, besetzen es die Beschäftigten. Darafhin gründen engagierte Ingenieure eine GmbH. Davon erzählen Leipziger Betriebsangehörige wie aus Schweinfurt entsandte Manager, Vertreter der IG Metall wie der Konkursverwalter und Leipzigs damaliger Oberbürgermeister – verbunden mit Hunderten persönlichen Schicksalen, die für viele stehen: für eine kollektive Biografie.
ESSAYS ZUM ZEITGEIST
Variationen vom ANDERN. Vom GEGNER. Endlich bleibt ein Rest: Unbeherrschte, die nicht innerhalb des Systems zu bändigen sind, Unbeherrschbare, die muss man totschlagen.
DIE ANGST VORM ANDERN – politisch getränkt – wurde die Grundangst der DDR, sozusagen ihr Bewusstsein.
Die TREUHANDANSTALT. Kapitalistisches Lehrstück: Tatsachen, Vorgänge, zu denen seit langem Berichte und Dokumente veröffentlicht sind. Das eben ist der Skandal.
WEN ZITATE ÜBERFÜHREN. Im Rückblick auf Europa, von den USA aus, treten Wechsel-Wirkungen ans Licht: Geschäft als Leidenschaft. Politik und Verbrechen. Täter und Tote.